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Rede von Bürgermeister Klaus Kaufmann zum Volkstrauertag 2021


Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,

gerne hätte ich Sie am Volkstrauertag zur Gedenkveranstaltung auf dem Laichinger Friedhof begrüßt. Bereits im vergangenen Jahr musste die Gedenkfeier aufgrund der Corona-Pandemie ausfallen. In diesem Jahr hatten wir bereits alle Vorbereitungen getroffen, aber aufgrund der aktuellen Entwicklung musste die öffentliche Gedenkveranstaltung leider kurzfristig wieder abgesagt werden. Das bedauern wir sehr, weil wir das gemeinsame Gedenken und das gemeinsame Innehalten als Zeichen gegen Gewalt und Krieg für eine wichtige und notwendige Tradition halten.

Der Volkstrauertag wird in ganz Deutschland begangen. Er gedenkt der Toten der beiden Weltkriege und der Opfer des Nazi-Regimes. Er erinnert an gefallene Soldaten und Kriegsgefangene, an getötete Zivilisten, an verfolgte Juden, Sinti und Roma und an Menschen, die in Kriegszeiten schwerste physische und psychische Verletzungen davontrugen. Vermutlich mehr als 70 Millionen Menschen mussten weltweit ihr Leben lassen – eine Zahl, die so hoch ist, dass das Ausmaß der Inhumanität und der Sinnlosigkeit gewalttätigen Vorgehens schon nicht mehr fassbar ist.

Doch hinter diesen kaum vorstellbaren Zahlen stehen lauter einzelne Biografien. Jeder Grabstein und jeder Totenschein verbirgt ein einzelnes Schicksal, einen Menschen, der es nicht verdient hat, vergessen zu werden. All diesen Opfern von Krieg und Gewalt bekunden wir am Volkstrauertag nicht nur unsere Trauer, sondern auch unseren Respekt.

Doch wir trauern nicht nur über die vielen Verluste an Menschen, der Volkstrauertag ist auch ein Tag der Trauer über das, was Menschen ihren Mitmenschen antun können und wohin Vorurteile, Gewalt und Gleichgültigkeit zu führen vermögen. Der Volkstrauertag ist ein Tag der Frage, wie es zum Ausbruch von Kriegen und zu Gewaltherrschaft kommen konnte. Und er ist ein Tag der Mahnung, nie zu vergessen, welch gefährdetes Gut die Menschenwürde ist. Immer wieder in der Geschichte hat sich gezeigt, dass Menschlichkeit im Umgang miteinander verloren gehen kann. Der Volkstrauertag ist deshalb ein Tag, der zur Achtung vor den Menschen aufruft, vor dem Leben eines jeden einzelnen Menschen, gleich welcher Herkunft oder welchen Glaubens er ist, unabhängig davon, wie er aussieht oder welche Überzeugung er hat.

Und damit ist der Volkstrauertag nicht nur ein Tag für die Toten, sondern auch für die Lebenden. Er hat nicht nur etwas mit der Vergangenheit zu tun, sondern auch mit der Gegenwart. Denn das Nachdenken über Krieg und Terror, über seine Opfer und seine Ursachen ruft auf, sich dafür zu engagieren, dass die Menschen heute in Frieden und Freiheit leben können.

Für den größten Teil unserer Bevölkerung sind die Weltkriege und die NS-Herrschaft heute Geschichte. Geschichte, die den Menschen überdies immer seltener durch Zeitzeugen nahegebracht werden kann, sondern zunehmend über Medien, über Filme, Bücher und Dokumentationen sowie den Schulunterricht vermittelt wird. Den Menschen jedoch, die diese Zeit noch selbst erlebt haben, stehen die Bilder des Leids und der Zerstörung immer noch vor Augen. Für sie ist die Erfahrung von Gewalt und Hoffnungslosigkeit noch präsent. Und manche von ihnen haben Verletzungen erlitten, die wohl nie heilen werden.

Diese unmittelbare Betroffenheit hat das Gedenken am Volkstrauertag in den ersten Jahrzehnten nach 1945 bestimmt. Heute ist persönliche Trauer nur noch selten anzutreffen. Dennoch oder gerade deshalb ist es wichtig, an Gedenktagen wie dem Volkstrauertag festzuhalten. Denn die Opfer von Krieg und Gewalt haben uns nach wie vor etwas zu sagen. Das können sie jedoch nur tun, wenn wir ihnen zuhören. Wenn die persönliche Erinnerung verblasst, brauchen wir ein öffentliches Gedenken an das, was geschehen ist.

Heute leben wir in der längsten Friedensphase unserer Geschichte und bereits seit mehr als 30 Jahre im wiedervereinten Deutschland. Dafür können und sollten wir glücklich und dankbar sein und auch das dürfen wir am Volkstrauertag nicht vergessen. 76 Jahre Friede und Freiheit – das ist nicht selbstverständlich und darauf können wir stolz sein. Unsere Grundwerte Frieden, Freiheit, Demokratie, freie Wahlen, Religionsfreiheit und viele mehr müssen gesichert und erhalten bleiben. Dafür müssen wir alle uns jederzeit einsetzen. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Erinnerung an alle Opfer wach zu halten und zu versuchen, Lehren aus ihr zu ziehen.

Am Volkstrauertag gedenken wir in erster Linie der Opfer der Weltkriege. Er sollte aber auch als Gedenk- und Mahntag aller Gewaltopfer, der Opfer von Tyrannei und Gewaltherrschaft in aller Welt bis in unsere heutige Zeit verstanden werden.

Ich denke hier z. B. an die deutschen Soldatinnen und Soldaten, die 20 Jahre lang in Afghanistan im Einsatz waren. Mehr als 50 Angehörige der Bundeswehr haben in diesem Zeitraum ihr Leben bei diesem Einsatz verloren. Das ist umso bitterer, weil umgehend nach dem Abzug in diesem Jahr wieder die radikalen Taliban die Herrschaft im Land übernommen hat.

Ich denke an die unzähligen Menschen, die auch heute noch weltweit auf der Flucht sind und die auf ihrem beschwerlichen Weg in der Hoffnung auf ein besseres und sicheres Leben leiden oder umgekommen sind.

Ich denke auch an den Brandanschlag auf die Synagoge in Ulm, bei der zum Glück keine Personen zu Schaden gekommen sind. Aber allein der Gedanke, dass der Antisemitismus auch heute noch immer so präsent ist, ist beschämend und unerklärlich. Ich habe mich deshalb besonders gefreut, dass im Juli dieses Jahres die bereits im letzten Jahr geplante Ausstellung „1948“ in unserer Volksbank möglich war.

Es sind zwar keine Opfer von Krieg, aber von Gewalt – von der Gewalt der Natur. Wir trauern in diesem Jahr auch um die Menschen, die bei den verheerenden Überschwemmungen im Ahrtal ihr Leben verloren haben. Es ist unsagbares Leid über unzählige Menschen gekommen, die geliebte Angehörige oder ihr Zuhause verloren haben.

Und nicht zuletzt trauern wir auch in diesem Jahr der viel zu vielen Menschen, die an Corona erkrankt sind und diese Erkrankung nicht überlebt haben.

Doch kommen wir zurück zum eigentlichen Anlass dieses Gedenktages – der Trauer um die unzähligen Opfer der Weltkriege. Wir dürfen sie niemals vergessen, deshalb ist das jährliche Gedenken unverzichtbar. Erinnerung braucht Menschen, die sich erinnern.

In Ehrfurcht vor den Toten beider Weltkriege und der Opfer von Gewaltherrschaft sowie vor allen Kriegsopfern und im Dienst gestorbenen Soldaten weltweit legt die Stadt als Zeichen des Gedenkens einen Kranz sowohl auf dem Friedhof als auch auf dem Marktplatz nieder. Wir bleiben ihnen verbunden in der dauerhaften Verpflichtung für Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit.

Und dies wollen wir für uns im Herzen bewahren, wenn wir im Stillen zusammen den Volkstrauertag begehen und wie folgt den Toten gedenken:

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräften, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind.

Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.

Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten und teilen ihren Schmerz.

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

Für Ihre Aufmerksamkeit bedanke ich mich sehr herzlich.

Ihr
Klaus Kaufmann
Bürgermeister

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